Schulsorge bei gelebtem Wechselmodell – kommentierte Entscheidung
In diesem Eilverfahren gem. § 1628 BGB zur Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis im Bereich Schulsorge übertrug das Amtsgericht Hamburg-Barmbek der Mutter die Schulsorge, nachdem wir sorgfältig vorgetragen haben, welche Auseinandersetzung mit den einzelnen Schulkonzepten erfolgt ist. Relevant sah das Amtsgericht Hamburg Barmbek bei der Schulsorge weniger die Weiterführung der fremdsprachlichen Förderung, als die Kontinuität des sozialen und lokalen Umfeldes. Es sah weiterhin als erwiesen an, dass ein kurzer Schulweg die Verselbstständigung des Kindes fördert und daher seinem Wohl besonders entspricht.
Im Hintergrund steht ein gelebtes Wechselmodell, welches trotz Streitigkeiten der Eltern zur Schulsorge fortgeführt wird.
Gegen diese Entscheidung zur Schulsorge wäre die Beschwerde zulässig gem. § 58 FamFG. Sie wäre aber wohl nicht aussichtsreich. Denn die Entscheidung ist sofort wirksam und die Mutter wird die Anmeldung zu Schule durchführen. Damit ist die Entscheidung zur Schulsorge vollzogen und das hanseatische Oberlandesgericht Hamburg wird diese sehr wahrscheinlich nicht abändern. Denn das würde für das Kind die Folge von Schulwechsel etc. beinhalten. Außerdem ist fraglich, ob die Schulbehörde einen anderen Schulplatz dann überhaupt noch anbieten kann.
Der Ausgang solcher Verfahren zur Schulsorge hängt stark von subjektiven Bewertungen ab. Häufig erfordert der Zeitablauf ein Eilverfahren. Dieses Eilverfahren zur Schulsorge hat dann oft faktische Wirkung, welche ein Beschwerdeverfahren aussichtslos macht. Es kann sich daher lohnen frühzeitig Anträge gem. § 1628 BGB zu stellen.
Bei Fragen zur Schulsorge und Wechselmodell buchen Sie gerne eine Erstberatung.
< Amtsgericht Hamburg-Barmbek
Beschluss
Beteiligte
Antragstellerin – Kindesmutter
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Kind & Recht Kanzlei für Umgangs- und Sorgerecht, Stormsweg 5a, 22085 Hamburg,
gegen
Antragsgegner – Kindesvater
Verfahrensbevollmächtigte:
Rechtsanwälte Krüger, Paul-Nevermann-Platz 5, 22765 Hamburg
Weitere Beteiligte:
Ein Kind
Jugendämter
wegen einstweiliger Anordnung elterliche Sorge beschließt das Amtsgericht Hamburg-Barmbek – Abteilung 891 – durch die Richterin am Amtsgericht Graf am 24.03.2023 auf Grund der mündlichen Verhandlung vom 23.03.2023:
1. Der Kindesmutter wird im Wege der einstweiligen Anordnung die Entscheidungsbefugnis darüber, welche Schule das gemeinsame Kind ab Sommer 2023 besucht, allein übertragen.
2. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
3. Der Verfahrenswert für das Verfahren der einstweiligen Anordnung wegen elterliche Sorge wird auf 2.000,00 € festgesetzt.
Gründe:
I. Die Beteiligten sind die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern des Kindes. Das Kind wird von den Eltern im Wechselmodell betreut; die Wechsel erfolgen jeweils montags, mittwochs und freitags. Das Kind besucht eine Kita, deren Erzieherinnen die Kinder ausschließlich auf Englisch ansprechen.
Zwischen den Beteiligten waren bereits mehrere familiengerichtliche Verfahren anhängig. In einem sorgerechtlichen Verfahren zum Az. … haben sich die Beteiligten nicht nur auf die Beibehaltung des gemeinsamen Sorgerechts verständigt, sondern auch eine Umgangsregelung getroffen. In dem Umgangsverfahren unter dem Az. … haben sich die Beteiligten auf eine geänderte Umgangsvereinbarung verständigt. Gegenstand des einstweiligen Anordnungsverfahrens unter dem Az. … war die Übertragung der Alleinentscheidungsbefugnis für die Beantragung und Abholung eines Kinderausweises und -reisepasses für das Kind auf die Mutter. Das Verfahren endete mit einem Kostenbeschluss, nachdem der Vater den vorhandenen Ausweis doch noch der Mutter herausgab und der Abholung von Ausweis und Reisepass zustimmte.
Seit Oktober 2022 stehen die Eltern im intensiven Austausch über die Schulanmeldung für die im Sommer 2023 bevorstehende Einschulung. Die Eltern haben sich diverse Schulen angesehen, konnten aber letztendlich keine Einigung hinsichtlich der auf der Anmeldung anzugebenden Wunschschulen erreichen.
Zunächst hatten sich die Eltern darauf verständigt, als ersten Wunsch die Schule an der Gartenstadt anzugeben. Eine Verständigung darüber, welche Schule als Zweit- und Drittwunsch angegeben werden soll, sollte in einem gemeinsam geführten Gespräch beim Jugendamt versucht werden. In dem Termin am 20.01.2023 teilte der Vater mit, dass er einen Umzug sowie eine Ummeldung des Kindes und ihm in Betracht ziehe, um die Chancen für die Aufnahme in der Schule an der Gartenstadt zu erhöhen. Daraufhin erklärte die Mutter, unter den Umständen nicht mehr mit der Angabe der Schule an der Gartenstadt als Erstwunsch einverstanden zu sein. Eine Einigung konnte weder in dem Termin noch in den nachfolgenden Wochen erreicht werden.
Am 26.01.2023 endete die behördliche Anmeldefrist. Der Vater versuchte, die Anmeldeunterlagen ohne Unterschrift der Mutter in der Schule am Gut abzugeben. Die Annahme wurde verweigert. Die Mutter gab die Anmeldeunterlagen mit den von ihr präferierten Schulen bei der Schule Fahrenkrön ab. Die Anmeldung wurde als vorläufige Anmeldung entgegengenommen.
Die Eltern beantragen jeweils wechselseitig,
ihnen die Alleinentscheidungsbefugnis zur Schulanmeldung des minderjährigen Kindes im Wege der einstweiligen Anordnung zu übertragen.
Das Kind wurde am 22.03.2023 und die Kindeseltern sowie der vom Jugendamt beauftragte freie Träger wurden am 23.03.2023 persönlich angehört. Eine Empfehlung von Elternschaft & Trennung ist nicht ausgesprochen worden. Auf die jeweiligen Anhörungsvermerke wird wegen der Einzelheiten Bezug genommen.
II. Die Entscheidung über die Anmeldung zur Kita ist auf die Kindesmutter zu übertragen. Dies entspricht dem Wohl des Kindes am besten.
Die Entscheidung beruht auf §§ 1628 BGB, § 49 FamFG. Danach kann das Familiengericht auf Antrag eines Elternteils die Entscheidung in einer einzelnen Angelegenheit der elterlichen Sorge, deren Regelung für das Kind von erheblicher Bedeutung ist, einem Elternteil übertragen, wenn die Eltern sich nicht einigen können. Maßgeblich ist hierbei gemäß § 1697a BGB das Kindeswohl. Die Entscheidungskompetenz hat das Gericht dem Elternteil zu übertragen, dessen Vorschlag dem Wohl des Kindes besser gerecht wird.
Die Voraussetzungen der Übertragung der Entscheidung auf die Kindesmutter liegen nach summarischer Prüfung vor.
Die Frage, in welche Schule das Kind ab Sommer 2023 eingeschult werden soll, ist eine Angelegenheit von erheblicher Bedeutung, über welche die gemeinsam sorgeberechtigten Eltern grundsätzlich Einvernehmen herstellen müssen, § 1627 BGB. Eine Einigung der Eltern konnte bis zuletzt nicht getroffen werden.
Es entspricht unter Berücksichtigung aller Umstände im Rahmen der gebotenen summarischen Prüfung dem Kindeswohl, dass der Kindesmutter die Entscheidung darüber übertragen wird.
Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
Für die von dem Antragsgegner bevorzugte Schule in der Gartenstadt spricht, dass dort die Möglichkeit besteht, eine Englisch-immersive Klasse zu besuchen, in der alle Unterrichtsfächer mit Ausnahme des Faches Deutsch auf Englisch unterrichtet werden. Das Kind hätte dabei die Möglichkeit, seinen bereits über die Kita eingeschlagenen Bildungsweg mit dem Schwerpunkt auf der englischen Sprache fortzusetzen und die Sprachkenntnisse auf hohem Niveau zu intensivieren. Die seinerzeit noch gemeinschaftlich getroffene Entscheidung für diesen Bildungsweg würde entsprechend stringent beibehalten werden.
Auch hat das Kind einen familiären Hintergrund, bei dem die englische Sprache durchaus Bedeutung zukommt. Allerdings wird weder im Haushalt der Mutter noch dem des Vaters regulär Englisch gesprochen; Muttersprache ist Deutsch. Die Bedeutung von Englisch im bisherigen Lebens- und Bildungsweg des Kindes ist also auf eine von den Eltern getroffene Schwerpunktsetzung zurückzuführen; die Gewichtung von Schwerpunkten wird auch unter anderen Umständen immer wieder neu gesetzt werden (müssen). Zudem kann die intensive Fortführung der Sprachausbildung neben dem regulären Unterricht auch mit weiteren Maßnahmen und Angeboten erfolgen, wobei das Gericht nicht verkennt, dass dies einem englisch-immersiven Schulbesuch an Intensität und Gewichtung nicht gleichwertig sein kann.
Soweit der Vater auch die Bauarbeiten an der Schule Fahrenkrön als Argument gegen die Entscheidung der Mutter anführt, erachtet das Gericht dies für nachrangig. Die Bauarbeiten sollen nach den nunmehr mitgeteilten Angaben in diesem Jahr abgeschlossen werden. Selbst wenn dies nicht der Fall wäre und vorübergehend eine Unterbringung in einem Container erfolgen würde, wäre dies ein Aspekt, der Eltern im Rahmen ihrer Entscheidung möglicherweise leitet, doch hält das Gericht dies für keinen Gesichtspunkt, dem eine große Bedeutung für die Ausgestaltung des Kindeswohles zukommt.
Soweit der Vater die Kompetenzen des Schulleiters der Schule Fahrenkrön in Frage stellt, so ist dies eine subjektive Einschätzung. An jeder Schule gibt es Lehrer und Lehrerinnen, die von Eltern unterschiedlich bewertet werden. Die Mutter hat sich gerade ein positives Bild von diesen Lehrkräften gemacht, hat also eine andere Einschätzung.
Für die von der Mutter bevorzugte Wahl spricht, dass alle dort genannten Schule wohnortnäher liegen würden. Das Kind hätte die Möglichkeit, zu einem späteren Zeitpunkt die Wegstrecken eigenständig zu bewältigen, was ein wichtiger Schritt im Rahmen von Selbständigkeit und Selbstverantwortung darstellt. Der Umstand, dass der Vater bereit wäre, das Kind während der gesamten Grundschulzeit von der Mutter zur Schule an der Gartenstadt und wieder zurückzubringen, hebt den Vorteil einer wohnortnäheren Schule daher nicht auf.
Das Einzugsgebiet der von der Mutter präferierten Schulen deckt sich zudem mit dem bisherigen sozialen Umfeld des Kindes. So hat sein momentan bester Freund den gleichen Erstwunsch angegeben. Zutreffend ist natürlich, dass Kita-Freundschaften häufig nicht ein Leben überdauern, doch hilft es definitiv beim Ankommen in der neuen Schulrealität, wenn einen bekannte und vertraute Menschen umgeben.
Da die Anmeldefristen für die Schulen bereits abgelaufen sind, steht auch gar nicht fest, ob denn bei einem Umzug des Vaters mit dem Kind tatsächlich eine Zuweisung an die Schule an der Gartenstadt erfolgen wird. Zwar soll dies die stellvertretende Schulleiterin der Schule dem Vater so gesagt haben, doch wird die Zuweisung selbst von der Schulbehörde und nicht der einzelnen Schule selbst vorgenommen. Die Schule an der Gartenstadt wäre für das Kind bei der Zuweisung nicht als Wunschschule vermerkt; durchaus nicht fernliegend ist daher auch, dass das Kind gar nicht der Schule an der Gartenstadt zugewiesen wird, sondern von einer neuen Meldeanschrift gemessen einer Schule in altersgemäßer Entfernung und damit einer Schule, die von keinem Elternteil gewünscht ist/war.
Der Vater hat darüber hinaus auch nicht angegeben, wo genau die Wohnung liegt, in die er nach eigenen Angaben ziehen würde. Auch ist nicht glaubhaft gemacht, dass diese Option tatsächlich besteht und der Vater wirklich aus einer eigenen Wohnung in zwei Zimmer einer 4er-WG ziehen würde und könnte. Sollte es sich dabei nur um eine Meldeanschrift auf dem Papier handeln, so läge es offen zu Tage, dass eine Zuweisung der Entscheidung an den Vater nicht dem Kindeswohl dient. Auch hat der Vater selbst angegeben, dort dann nur vorübergehend leben zu wollen, da er in einer eigenen Wohnung wohnen möchte. Dies wäre eine weitere Instabilität im Leben des Kindes. Dabei bleibt selbstverständlich nicht außer Acht gelassen, dass auch die Mutter demnächst umziehen wird. Dieser Umzug basiert allerdings auf Veränderung der familiären Lebensverhältnisse; die mindestens zwei Umzüge des Vaters würden einzig erfolgen, um das Kind auf diese Schule zu bringen.
Auch wenn damit gute Gründe für jede der beiden Standpunkte bestehen, so wird der Vorschlag der Mutter doch aus den genannten Gründen dem Wohl des Kindes besser gerecht wird.
Es besteht auch ein dringendes Regelungsbedürfnis. Die Fristen für die Schulanmeldung sind bereits abgelaufen. Die Kindesmutter konnte bislang nur eine vorläufige Anmeldung abgeben. Ohne die Bestätigung dieser Anmeldung würde die nun im April erfolgende Zuweisung zu einer Schule ohne Berücksichtigung von entsprechenden Wünsche erfolgen, wobei dann die Zuweisung an eine Schule in altersgemäßer Entfernung zum Wohnort nach Platzverfügbarkeit erfolgt.
Den Kindeseltern wird nochmals angeraten, nunmehr eine Elternberatung aufzunehmen, um weitere Streitigkeiten und gerichtliche Verfahren zu vermeiden, die sich negativ auf das Kind auswirken können.
Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 51 Abs. 4, 81 Abs. 1 Satz 1 FamFG. Für die Kosten des Verfahrens der einstweiligen Anordnung gelten die allgemeinen Vorschriften.
Die Festsetzung des Verfahrenswertes für das Verfahren der einstweiligen Anordnung wegen elterlicher Sorge beruht auf §§ 41, 45 FamGKG.
Graf
Richterin am Amtsgericht
Erlass des Beschlusses (§ 38 Abs. 3 Satz 3 FamFG):
Übergabe an die Geschäftsstelle am 27.03.2023.