Unser Alltag in der Kanzlei Bergmann ist geprägt von Fällen, in denen es neben dem Sorge- oder Umgangsrecht auch um Unterhaltszahlungen für minderjährige Kinder geht. Aber wie ist das eigentlich, wenn die eigenen Eltern alt geworden sind, nicht mehr arbeiten können, aber Rente und Pflegeversicherung nicht reichen, um die Eltern angemessen versorgen und betreuen zu lassen?!
Grundsätzlich schreibt das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) in § 1601 BGB vor, dass Verwandte in gerader Linie dazu verpflichtet sind, einander Unterhalt zu gewähren.[1] Verwandte in gerader Linie sind solche, die voneinander abstammen, zum Beispiel Eltern und Kinder.[2] Viele von Ihnen kennen also den typischen Fall, dass die Eltern dem Kind zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet sind. Denn Kinder können bis zu einem bestimmten Alter nicht selbst für sich aufkommen und erhalten aus diesem Grund Unterstützung von ihren Eltern. Aber an einem gewissen Zeitpunkt im Leben dreht sich dieses Fürsorgeverhältnis und die nun erwachsenen Kinder müssen sich um die mittlerweile alt gewordenen Eltern kümmern. Diese Situation betreffend hat der Bundesgerichtshof (BGH) am 09. März 2016 nun eine interessante und bedeutende Entscheidung gefällt.
Der Sachverhalt, den der BGH zu beurteilen hatte, sah wie folgt aus: Der Vater S. wurde im Jahre 1941 geboren und wird seit 2010 durch einen Pflegedienst in seiner Wohnung betreut und versorgt. Daraus entstanden Kosten in Höhe von 2.900,00 € im Monat. Durch die Rente und die Pflegeversicherung des Vaters S. wurden allerdings nur Kosten in Höhe von 2.000,00 € pro Monat abgedeckt. Die übrigen 1000,00 € übernahm der Sozialhilfeträger im Rahmen der „Hilfe zur Pflege“[3].
Der Sozialhilfeträger wandte sich nun an den Sohn und forderte ihn auf die übrigen 1000,00 € zur Versorgung seines Vaters rückwirkend ab Januar 2012 und für die Zukunft zumindest anteilig zu übernehmen.[4] Denn wie oben geschildert, sind sich Kinder und Eltern wechselseitig ihr Leben lang zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet. Nun war hier die Besonderheit des Falls, dass der Sohn mittlerweile in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft mit einer Partnerin zusammenlebte. Aus dieser Partnerschaft war im Dezember 2008 eine gemeinsame Tochter hervorgegangen. Außerdem lebten zwei minderjährige Kinder aus der ersten Ehe der Partnerin im gemeinsamen Haushalt des Sohnes und seiner Partnerin. Das Nettoeinkommen des Sohnes beträgt etwa 3.500,00 €, sodass selbst nach Abzug eines angemessenen Selbstbehalts[5] und der Unterhaltszahlungen für die gemeinsame Tochter genügend Geld übriggeblieben wäre, damit der Sohn seinem Vater zumindest anteilig ebenfalls zur Zahlung von Unterhalt verpflichtet gewesen wäre.
Der Sohn wandte hiergegen jedoch ein, dass er ähnlich eines Ehemannes für den Unterhalt der Familie aufkommen würde und deshalb die Elternunterhaltszahlungen für seinen Vater nicht bzw. nur anteilig übernehmen könne. Tatsächlich steht Eheleuten ein erhöhter Selbstbehalt[6] zu. Nicht aber Personen, die in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft leben. Denn hier geht der Gesetzgeber und die Rechtsprechung davon aus, dass der erhöhte Selbstbehalt in einer Ehe ja gerade darauf beruhe, die vorrangigen Unterhaltspflichten gegenüber der Ehefrau zu erfüllen. Diese bestünden aber im Fall des Sohnes, der in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft lebt, nicht im gleichen Ausmaß. Wenn der Sohn sich also dazu entscheidet, mehr Unterhalt an seine Partnerin zu leisten, als er müsste, wird er insoweit benachteiligt.
Der BGH schlug in seiner Entscheidung einen anderen Weg als die vorinstanzlichen Gerichte ein und stellte ab auf den Betreuungsunterhalt[7] des Sohnes. Denn dieser kann auch bei Paaren berücksichtigt werden, die in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft leben. Wenn solche Paare ein gemeinsames Kind bekommen, kann der Kindesvater der Kindesmutter grundsätzlich zur Zahlung von Betreuungsunterhalt verpflichtet sein bis das gemeinsame Kind drei Jahre alt ist.[8] Hier war die gemeinsame Tochter des Paares aber bereits sieben Jahre alt. Der Kindesvater muss der Kindesmutter aber dennoch als betreuendem Elternteil weiter Betreuungsunterhalt für das Kind zahlen, wenn dies aus elternbezogenen Gründen billig ist. Diese Gründe könnten zum Beispiel darin liegen, dass die Kindeseltern sich darüber geeinigt haben, dass ein Elternteil das gemeinsame Kind persönlich betreut und deshalb voll oder teilweise an der Erwerbstätigkeit gehindert sei.
Das Verhältnis zwischen der nichtehelichen Lebensgemeinschaft und dem Zusammenleben in einer Ehe bleibt auch nach diesem Urteil weiterhin so und basiert auf dem Gedanken, dass der Gesetzgeber Personen, die sich durch die Ehe versprechen, füreinander ein Leben lang zu sorgen, privilegieren möchte. Dennoch zeigt der BGH der Rechtsprechung einen Weg auf, auch die Gründe von Paaren, die in einer nichtehelichen Lebensgemeinschaft zusammenleben, gemeinsame Kinder haben und in denen ein Partner für die Betreuung der Kinder zuständig ist, zu berücksichtigen.
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[1] § 1601 BGB: Verwandte in gerader Linie sind verpflichtet, einander Unterhalt zu gewähren.
[2] § 1589 Abs. 1 BGB: Personen, deren eine von der anderen abstammt, sind in gerader Linie verwandt. Personen, die nicht in gerader Linie verwandt sind, aber von derselben dritten Person abstammen, sind in der Seitenlinie verwandt. Der Grad der Verwandtschaft bestimmt sich nach der Zahl der sie vermittelnden Geburten.
[3] Sozialleistung für pflegebedürftige Personen, die den notwendigen Pflegeaufwand nicht aus eigenen Mitteln sicherstellen können
[4] Wenn der Vater seinen Unterhaltsanspruch gegen den Sohn nicht selbst geltend macht, ist es dem Sozialhilfeträger gemäß § 94 SGB XII möglich, den Anspruch in der Höhe der gezahlten Sozialhilfeleistungen gegen den Sohn geltend zu machen. Der Rechtsstreit findet deshalb häufig zwischen dem Sozialhilfeträger und den Kindern statt
[5] Der Betrag, der dem Sohn monatlich zur Verfügung stehen soll, um sich selbst zu versorgen, bei Alleinstehenden 1.800 €
[6] in Höhe von 3.240 €
[7] Unterhalt, den der eine Elternteil dem anderen Elternteil zahlt, weil dieser die Betreuung des Kindes übernimmt und deshalb keinen Beruf ausüben kann
[8] Gemäß § 1615 l Abs. 2 BGB