Ich muss zugeben, dass dieser Fall, den das Oberverwaltungsgericht Münster diesen Monat zu entscheiden hatte, sicherlich nur für einen geringen Teil der Leser und auch der gesamten Bevölkerung Deutschlands für das alltägliche Leben von Belang ist. Dennoch oder gerade deswegen habe ich mir genau diesen Fall einmal angeschaut. Nicht nur, weil es eine sehr eigenwillige und interessante Konstellation der Beteiligten gibt, sondern auch, um zu zeigen, wie viel komplexer familienrechtliche Sachverhalte noch sein können, als dies bei der „klassischen“ Konstellation – Vater, Mutter und ein oder mehrere Kinder – in der Regel der Fall ist.
So viel zum Sachverhalt: Der Vater des Kindes, das 2010 geboren wurde, ist deutscher Staatsbürger und lebt mit seinem Partner und mittlerweile fünf weiteren Kindern in Israel. Das Kind wurde von einer indischen Leihmutter, die selbst wiederum verheiratet ist, ausgetragen. Als der Vater des Kindes bei den Behörden einen deutschen Pass für das Kind beantragen wollte, ließen diese ihn abblitzen. Auch das Verwaltungsgericht Köln hatte die Entscheidung der Behörden gegen die Vergabe des deutschen Passes bestätigt. Am 14.07.2016 hatte deshalb das Oberverwaltungsgericht Münster über diesen Fall zu entscheiden.[1]
Das Oberverwaltungsgericht kippte nun den Grundsatz, dass nach deutschem Recht der Ehemann als Vater gilt, auch wenn er es biologisch gar nicht ist. Denn in Deutschland gilt grundsätzlich der Ehemann der Mutter des Kindes automatisch als Vater, auch wenn er es biologisch gar nicht ist. Somit galt zunächst der Ehemann der Leihmutter nach deutschem Recht als rechtlicher Vater des Kindes. Da dieser aber die indische Staatsangehörigkeit besitzt, verweigerten die Behörden dem Vater des Kindes den deutschen Pass für sein Kind. Das Oberverwaltungsgericht widersprach in seinem Urteil vom 14.07.2016 nun diesem Grundsatz und gab dem Vater des Kindes Recht.
Zwar hatte auch der Bundesgerichtshof in den vergangenen Jahren mehrfach das Wohl des Kindes und gesellschaftliche Tatsachen über deutsche Normen gestellt. Dennoch lag dieser Fall anders, weil die Leihmutter verheiratet ist. Im Rahmen der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts hatte der Vater dann auch sämtliche bisher dem Gericht vorenthaltenen Auskünfte über die Leihmutter zur Verfügung gestellt. Die Absprachen mit dem Ehepaar in Indien waren nach Ansicht des Gerichts vollkommen fair abgelaufen. Auch hatte ein Gericht in Tel Aviv die biologische Vaterschaft zwischen dem Jungen und dem Vater bereits geklärt. Letztendlich entscheidend war aber für das Oberverwaltungsgericht, dass das Kind nachweislich in einem intakten sozialen Familienumfeld lebt.[2]
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[1] Aktenzeichen: 19 A 2/14
[2] http://rsw.beck.de/aktuell/meldung/ovg-muenster-kind-von-indischer-leihmutter-hat-recht-auf-deutschen-pass; http://www.spiegel.de/panorama/justiz/kind-von-indischer-leihmutter-hat-recht-auf-deutschen-pass-a-1103088.html